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Mein Stammtisch

Jeden Donnerstag trifft sich unerer illustre Stammtisch Arbeitsloser an der kleinen Eckkneipe. Dort sitzen wir beim spärlichen Bier, uns trösten uns gegenseitig über unser Leid hinweg. Unsere Probleme im Suff zu ertränken ist ja nicht möglich. Dazu fehlt uns das Geld. Seit Leo gestorben und Senat abgeschoben wurde, geht es uns schlecht.
Leo war an und für sich geizig. Aber er war Jude und hatte den Komplex, dass ihn auch die Deutschen von heute nicht mochten, was absolut nicht stimmte. Aber er meinte dennoch, sich unserer Liebe dadurch verdienen zu müssen, indem er mindest einmal am Abend, meistens wenn schon einige gegangen waren, einen ausgab. Dabei hatte er genug Geld, denn er war nur indirekt arbeitslos. Er war gut situierter Rentner. Arbeitslos war er in St. Petersburg gewesen, wo er mit seiner Ehefrau von weit weniger als 100 DM Rente im Monat leben musste.
Dann hatte er einen Herzinfarkt und das Glück, einen gebildeten Arzt zu haben. Der erklärte ihm direkt, dass seine Überlebenschance in der Sowjetunion nach Monaten, wenn nicht Wochen zu zählen sei. Aber der Arzt wusste auch, dass Leo als Jude sofort eine Einreiseerlaubnis für Deutschland erhielt. Und so zog Leo vor sechs Jahren mit seiner Ehefrau hierher, bezog eine komfortable 3-Zimmer Wohnung, erhielt eine ordentliche Rente und pro Tag Herzmedikamente für mehr als 200,- DM. Dennoch konnte er dabei keine sehr großen Sprünge machen, denn er hatte seine drei Söhne samt Familien nachkommen lassen. Und die erhielten nur Sozialhilfe, weshalb Leo ihnen und deren Kinder einen Teil seiner Rente zukommen ließ. Als Leo dann im vergangenen Jahr starb, salutierte unser Stammtisch ein letztes Nastrowje auf ihn, denn Leo sprach nur Russisch. Er hat Deutschland immer vollständig abgelehnt. Als er im Sterben lag, verlangte er vom Oberarzt des Krankenhauses, dass er mit einem Notarztwagen nach St. Petersburg gefahren werde, da er in seiner Heimat sterben wollte. Aber das war dann doch zu viel verlangt.

Als nächster ging Senat. Auch er war nicht wirklich arbeitslos. Als Asylbewerber durfte niemand aus seiner Familie arbeiten. Senat sprach - anders als seine Eltern - gut Deutsch. Er war direkt zu Beginn des Balkan-Kriegs als Asylbewerber nach Deutschland gekommen. Seine Familie galt als sehr bedroht und blieb noch Jahre nach Ende der Kriegshandlungen in Deutschland. Immer, wenn seine Familie abgeschoben werden sollte, kamen Drohbriefe aus Bosnien, die seinem Vater im Falle der Rückkehr die Ermordung androhten. An und für sich war Senat also ein armes Schwein. Die Klassenkameraden mussten für ihn sammeln, wenn er wieder einmal mangels Schulheft keine Hausaufgaben machen konnte. Und das war häufig der Fall. Oft hatte er auch keine Zeit, in die Schule zu fahren, weil er seinen Vater bei einem Transport alter Fernseher, gebrauchter Autos oder Altkleidern aus dem Sammelcontainer des Roten Kreuzes nach Bosnien begleitete. Hier konnten diese Dinge, - selbst im oder besonders wegen des Krieges - offenbar ganz gut verkaufen werden, denn noch als Asylbewerber finanzierte Senats Familie so den Kauf eines Hotels im Kriegsgebiet Bosniens.
Da Senats Vater so fair war, seine Kinder immer an seinen Geschäften zu beteiligen, hatten die immer hunderte von DM in der Hosentasche. Deshalb konnte Senat, wenn er wollte, sehr spendabel sein. Manchmal warf er, um uns zu helfen, eine Hand von Silberlingen vor uns in den Gully und freute sich, wenn wir diese dankbar herausfischten.
Kosten hatten er und seine Familie ja keine, Wohnung, Heizung, Putzfrau, Müllkontainer für die unverkäuflichen Autoteile, Waschmaschinen, Kühlschränge, die Senat mit seinem Vater organisierte, aber auch regelmäßige Rechtsanwalts- und Gerichtskosten, alles bezahlte die Gemeinde. Als sie dann nach rund 12 Jahren Asyl Deutschland verlassen mussten, ließ sich sein Vater noch schnell auf Sozialhilfe ein Gebiss für vierzig Tausend DM anpassen. Dann verließen er und seine Familie Deutschland auf Kosten der Bundesregierung mit einer kompletten Autowerkstatt-Einrichtung, inkl. zwei Hebebühnen. Ihre Wohnung, aus der sie beim Umzug Waschbecken, Türen und andere feste Einrichtungen ausbauten und mitnahmen, entsprach einem Totalschaden. Senats Vater wurde in Bosnien ein wohlhabender Mann mit Autowerkstatt und Hotel. Senat aber kehrte nach einiger Zeit Deutschland zurück und heiratete eine deutsche Frau. Aber er kahm nur noch einmal hierher zurück, um uns zu besuchen. Als echter Kamerad er gab er uns einen aus.

Besonders gefreut hat sich darüber Richard, denn der war damals gerade komplett down. Er ist Elektromeister. Als der Krauter, bei dem zusammen mit 3 Gesellen arbeitete, sein Installationsgeschäft aus Altersgründen aufgab, übernahm er es kurzerhand mitsamt den 3 Arbeitspätzen. Aber hierzu musste er einen Kredit aufnehmen, den er aber bald wegen der schlechten Auftragslage nicht mehr bedienen konnte. Schließlich musste er seinen 3 Gesellen kündigen und das Geschäft abmelden. Die Bank verkaufte das Haus. Erworben wurde es von einer deutschstämmigen Familie aus Russland. Sehr fleißige Leute. Sie haben 5 Kinder. Bei Einreise nach Deutschland erhielt die Familie pro Familienmitglied 40.000,- DM als Starthilfe. Davon kauften sie das Haus und zwei Autos und bezahlten das bar. Richard schlägt sich hingegen als Jobber mehr schlecht als recht durchs Leben und nimmt jeden Auftrag an, um mit seiner Familie zu überleben, auch Jobs zu einem Euro Stundenlohn.
Der einzige Nachteil Richards, wenn er so davon erzählt, dass er praktisch keine Rente zu erwarten hat, weil er nicht genügend Jahre als Unselbsständiger gearbeitet hat und nun sicher keinen festen Job mehr findet, kann man sein Genuschel gerade nach ein bis zwei Bier schlecht verstehen, denn Richard hat schon lange kein Geld mehr, zum Zahnarzt zu gehen.

Ja zum Glück ist da noch Jörg. Er hat Jura studiert und war dann Rechtsreferendar. Aber genau dann, als er Richter und verbeamtet wurde, passierte etwas Sonderbares. Er konnte sich nicht mehr konzentrieren und brachte als Richter kein Wort mehr heraus. Sein Dienstherr reagierte richtig. Er schickte in bei vollen Bezügen mit Mitte 30 in den Ruhestand. Dort erholte sich Jörg prächtig. Er baute mit seiner Familie ein großes Haus und nutzt seine Arbeitslosigkeit für soziale Belange. Er hält zu Fasching vor großem Publikum köstliche Büttenreden, verzaubert die Zuschauer des Laientheaters mit langen Monologen als Hauptdarsteller, organisierte Feste und wurde mehrfach Tischtennismeister. Und natürlich hat er das Geld, uns regelmäßig das erste Bier zu spendieren.

Einen regelrechten Narren hat er an Silke gefressen. Unser einziges weibliches Mitglied (Feministen würden hier Mitfrau sagen, da sie ja kein Glied hat). Ja manchmal glaube ich, er ist ausschließlich wegen ihr da. Solche Zuneigung hilft Silke sicher über ihr Elend hinweg. Sie ist ausgebildete Kindergärtnerin. Als sie dann selbst ein Kind bekam, wähnte sie sich sicher und kehrte nicht mehr auf ihren garantierten Arbeitsplatz zurück. Aber dann verließ sie ihr Freund, um wieder zu studieren. Nun erhält sie vom Sozialamt etwas mehr als 400,- Euro, aber nur theoretisch. Denn davon wird der Unterhaltsanspruch an den Kindesvater abgezogen. So haben sie und ihr inzwischen 6-jähriger Junge 280,- Euro zum Leben. Sie könne ja den Kindesvater verklagen, hat man ihr gesagt. Das hat sie auch einmal versucht. Der Kindesvater hat eine eidesstattliche Versicherung abgegeben. Der Rechtsanwalt hat sie gebumst. Angeblich wollte er dafür auf sein Honarar verzichten. Später hatte er es sich dann aber wohl anders überlegt und ihr Konto gepfändet.
Eigentlich sieht Silke gut aus. Aber durch die Mangelernährung ist ihr Busen mittlerweile auf Erbsengröße geschrumpft und ihr ganzer Körper hat Hungerflecken.
Das Arbeitsamt tröstet sie immer wieder damit, dass sie nur mehr essen müsse, damit sie wieder besser aussehe, dann fände sie auch wieder einen Job, auch wenn sie als schon Dreißigjährige schon schwer vermittelbar sei.
Ja, für sie, die alles versucht, damit ihr Kind nicht unter der Situation zu stark leidet, ist es sicher eine Hilfe, dass ihr Jörg immer mal einen Fuffi zusteckt. Dann fährt er sie sogar noch nach Hause und hilft ihr in ihrer Wohnung oder so. Denn er bleibt dann immer recht lange weg. Seine Familie darf davon nichts erfahren, denn die haben wohl kein Verständnis, wenn Jörg als Alleinverdiener der Familie von seinem bißchen Richterpension noch anderen was abgibt.

Eigentlich, wenn ich mal den statistischen Durchschnitt unseres Arbeitslosen-Stammtisch bilde, geht es uns gar nicht so schlecht. Die Bundesregierung hat schon Recht. Mit dem, was der Sozialstaat bietet, lässt sich gut leben. Ja sicher sind sogar noch Kürzungen zur Entlastung des Staatshaushaltes möglich. Vor allem Richard und Silke haben so wenig, dass es auf das Bißchen Weniger auch nicht mehr ankommt. Weg damit.


P.S. die Personengeschichten stimmen, die Namen wurden jedoch verändert und der Zusammenhang zwischen den Personen wurde - bis auf die Beziehung Richards zu der deutsch-russischen Familie - frei erfunden. Den Stammtisch gibt es daher nicht. Der reale Jörg würde sich auch sicher nicht mit Sozialschmarotzern, die gerademal bis zu 40 Jahre in die Sozialversicherung eingezahlt haben und nun im Versicherungsfall auch noch frech Ansprüche stellen, an einen Tisch setzen.


 

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